Maria Pawlowna: Eine russische Zarentochter in Stotternheim
Die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen widmet 2004 ihre größte Ausstellung einer Frau, die heute weitgehend vergessen ist: der Zarentochter Maria Pawlowna, die als Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach in Thüringen bemerkenswerte Spuren hinterlassen und sich auch in der Chronik und weiteren historischen Quellen unseres Ortes niedergeschlagen hat. 1835 und 1858 hat Maria Pawlowna Stotternheim besucht.
Maria Pawlowna wurde am 4. Februar 1786 als fünftes Kind des späteren Zaren Paul I. und seiner Frau Sophie-Dorothea von Württemberg-Mömpelgard geboren. 1804 heiratete sie Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach, der seinem Vater Carl August – nach dem der Karlsplatz benannt ist – 1828 als Großherzog folgte. Die Verbindung Weimars zum Zarenhaus zahlte sich bereits während des Wiener Kongresses 1814/15 aus. Maria Pawlowna begleitet Carl August und Zar Alexander I. zu dem Kongress, auf dem Europa nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft neu geordnet wurde: Sachsen-Weimar-Eisenach wurde zum Großherzogtum erhoben und konnte Fläche und Bevölkerungszahl nahezu verdoppeln. Auch das Erfurter Landgebiet und damit Stotternheim fielen am 28. September 1815 an den größten thüringischen Kleinstaat.
Die weimarische Großherzogin und russische Großfürstin war eine politisch aktive Frau. So gründete und führte sie 1817 das „Patriotische Institut der Frauenvereine“, einer frühen, in ganz Deutschland verbreiteten Keimzelle der Frauenbewegung. 1821 ergriff sie die Initiative zur Gründer der Sparkasse im Großherzogtum, 1834 gründete sie die Landesbaumschule. Stotternheim besuchte Maria Pawlowna der Ortchronik zufolge erstmals am 15. Juli 1835 gemeinsam mit ihrem Sohn, dem Erbgroßherzog Carl Alexander. Sie wurde „auf dem Karlsplatze von 25 Jungfrauen und ebensoviel Jünglingen festlich empfangen. Zum Andenken erhielten zwei Jungfrauen Silberwerk, die Kirche zwei schöne Blumenvasen, der Gesangverein, der einiges vor ihr in der Kirche gesungen hatte, Musikalien“. 1836 hat die Großherzogin der Ortschronik zufolge eine „wandernde Volksbibliothek“ gegründet, deren nutzen für Stotternheim jedoch allenfalls vorübergehend gewesen sein dürfte, denn bereits 1838 entsteht im Ort eine Schul- und 1839 eine eigene Ortsbibliothek, wie wir aus einer Denkschrift des Ortspfarrers Friedrich Wilhelm Andreä aus dem Jahr 1860 wissen.
1854 wurde in Stotternheim wie überall in Sachsen-Weimar-Eisenach des 50-jährigen Wirkens der Großherzogin gedacht, „hier in der Mädchenarbeitsschule mit Vortrag, Gesang und Ergötzlichkeit, im geselligen Verein mit einem Vortrag über die Verdienste der hohen Frau, außerdem mit Gründung eines Armenvereins, welcher [...] eine geordnete Armen-Unterstützung eingerichtet und das ebenso sittlich verderbliche als lästige Betteln, namentlich der Kinder, abgestellt hat“. Doch scheint dem Verein nach dem geschilderten schwungvollen Beginn kein dauerhafter Erfolg beschieden gewesen zu sein, denn wie es bereits in der Denkschrift von 1860 heißt, ist er „nach mehrjähriger Wirksamkeit“ nur noch „in besonderen Notzeiten“ hervorgetreten und hat zur Kirmes und Neujahr „Kuchen u.s.w.“ verteilt. Immerhin ist bemerkenswert, dass man der Großherzogin am ehesten mit einem sozial ausgerichteten Verein zu entsprechen meinte.
Dieser Charakterzug wird auch 1858 herausgestellt, als Maria Pawlowna „welche sich so lebhaft für alles Gemeinnützige interessiert“ am 18. September zum wohl zweiten und letzten Mal mit großem Gefolge nach Stotterheim kam, begleitet unter anderem durch den liberalen Staatsminister Bernhard von Watzdorf. In der Chronik heißt es: „Von Nöda kommend hielt hochdieselbe vor dem Eingang der geschmückten Saline an; hier besuchte sie die Kinderheilanstalt, ging über den Friedhof in die Industrieschule, sodann in die Kirche und zwar zuerst an den Altar, wo sie still betete, während von der Orgel mit Cellobegleitung `O sanctissima´ erklang. Zuletzt besuchte hochdieselbe noch die Fräulein von Hausen. In den Opferstock der Kirche hatte sie, wie an allen besuchten Orten (...) einen Dukaten einlegen lassen; den Vorrat von Strümpfen in der Industrieschule übernahm sie auf ihre Rechnung zur Verteilung an die Armen.“ Aus einem Spendenverzeichnis für die Diözese Großrudestedt für das Jahr 1858 erfahren wir neben dem genauen Datum Näheres über den Besuch. Danach weilte Maria Pawlowna am gleichen Tag auch noch in Riethnordhausen, Nöda und Schlossvippach. Die erwähnten Strümpfe tauchen als „verfertigte und noch zu fertigende weibliche Arbeiten“, die mit 10 Talern beglichen wurden, in der Liste auf. Überdies erfahren wir, dass sie drei Taler „für einen an den Füßen operierten Knaben“ spendete.
In der von Maria Pawlowna besuchten Saline hatte sich seit 1850 ein beachtlicher, auch auf Kinder ausgerichteter Badebetrieb entwickelt. Bei der erwähnten Industrieschule handelte es sich um eine in Stotternheim 1840 eingerichtete „Mädchenarbeits- oder Industrieschule“, in der Mädchen an zwei Wochentagen in ländlicher und häuslicher Hauswirtschaft unterrichtet wurden. Diese im ganzen Großherzogtum seit 1815 gegründeten 34 Schulen standen unter der Regie des erwähnten Instituts der Patriotischen Frauenvereine. Das Interesse der Großherzogin gerade an dieser Einrichtung ist also verständlich. Wie großzügig war die Landesherrin? Wohl ihrem Stand und dem Anlass angemessen: Dukaten waren die Ausnahmemünzen der Zeit, eine Goldmünze mit einem Feingewicht von 3,44 g Gold bei 3,49 g Gewicht. Gebräuchlicher war die Talerwährung: Für einen Taler bekam man zum Beispiel rund 30 Maas in Stotternheim gebrauten Biers oder sechs Pfund Schweinefleisch. Mit ihrem Besuch bei den Fräulein von Hausen zeichnete sie aber die eigentlichen Wohltäter des Dorfes aus, die ehemaligen Besitzerinnen des Ritterguts Siedelhof: Dieterike und Charlotte von Hausen. Die Schwestern hatten der Kirche bis 1860 für sechs Stiftungen insgesamt 2819 Taler zukommen lassen. Das war etwa das Zehnfache der gesamten Steuereinnahmen Stotternheims für das Jahr 1859 von 280 Talern!
Aus einem Spendenverzeichnis für das folgende Jahr 1859 wissen wir, dass Maria Pawlowna Stotterheim nochmals mit 10 Talern bedacht hat: für eine nicht näher bezeichnete „Fortbildungsanstalt für Jünglinge“. Offenbar war die Großherzogin den Stotterheimern durch diese Gesten in guter Erinnerung, als sie im gleichen Jahr, am 23. Juni 1859, im Schloss Belvedere bei Weimar starb. Die Chronik hält fest: „Der Tod der hohen Frau, deren menschenfreundliches Wirken im Land soviel Gutes getan, rief in allen Kreisen der Bevölkerung große Trauer hervor. Die Gedächtnisfeier fand nach vorausgegangenem 14-tägigem Trauergeläute am 17. Juli auch hier unter Abhaltung eines Trauergottesdienstes statt.“
Eine Liederzusammenstellung aus dem Jahr 1860 gibt Aufschluss über die musikalische Ausgestaltung des Trauergottesdiensts. Gemeinde und Chor sangen auf die Melodie von „Valet will ich dir geben“ ein elfstrophiges, vermutlich von Pfarrer Andreä eigens gedichtetes Lied, in dem auch an den Besuch der Großherzogin im Vorjahr erinnert wird. Nach einem „Nachmittags-Vortrage des Geistlichen in der Kirche“ schloss sich ein „Gesang der Industrieschülerinnen“ an. Das Kapitel Maria Pawlowna in Stotternheim war damit nicht gleich abgeschlossen, denn in der Denkschrift von 1860 ist von der unvergessenen Großfürstin Maria Pawlowna die Rede, „deren Gedächtnis wir hier in der Kirche jährlich dankbar zu erneuern beschlossen haben“. Wie lange dies geschah und wann der Nachruhm welkte, ist freilich nicht bekannt.
Karl-Eckhard Hahn